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Dieselskandal 1: Auskunfts- und Überwachungspflicht bei der Obergesellschaft Porsche SE – LG Stuttgart, Urt. 19.12.2017, Az. 31 O 33/16 KfH = AG 2018, 240

erstellt am: 21.04.18 | Aktuelle Urteile

Das LG Stuttgart hat ein Urteil zur Compliance der Obergesellschaft bei der Porsche SE zu Dieselgate gefällt ( LG Stuttgart, Urt. 19.12.2017, Az. 31 O 33/16 KfH = AG 2018, 240 ), das auch im Handelsblatt v. 22.01.2018 berichtet wird. Die Berufung gegen das Urteil ist beim OLG Stuttgart, Az. 20 U 2/18 anhängig.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein und Aktionär der beklagten Porsche SE. Die Beklagte hat als wesentliches Vermögen (92,8 % der Bilanzsumme 31.12.2015) 52,2 % der Stammaktien und 30,8 % des gezeichneten Kapitals (einschließlich stimmrechtsloser Vorzugsaktien) an der Volkswagen AG und ist selbst börsennotiert. Der Kläger greift mit Anfechtungs-, hilfsweise Nichtigkeitsklage die von der Hauptversammlung 29.06.2016 mehrheitlich gefassten Beschlüsse zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2015 an. Bis zum Herbst 2015 war der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG auch Vorstandsvorsitzender der Porsche SE.   

Auf der Hauptversammlung 29,06.2016 hat der Kläger als Aktionär gefragt, wann die Vorstandsmitglieder der Porsche SE erstmals Kenntnis von etwaigen Rechtsverstößen bei Dieselgate hatten und welche Maßnahmen daraufhin getroffen wurden. Die Antwort des Vorstands erschöpfte sich in der Angabe erst mit der „Notice of Violation“ vom 18.09.2015 Kenntnis über die „Dieselthematik“/Dieselskandal erlangt zu haben obwohl beginnend ab 2006 verantwortliche Mitarbeiter der Volkswagen AG eine Vielzahl von Hinweisen auf Verstöße des Dieselmotor Typ EA 189 gegen US-amerikanisches Recht („Clean Air Act“) hatten und vor dem 18.09.2015 bei Volkswagen Amerika Unterlagen vernichtet und Daten gelöscht wurden.  

Das LG Stuttgart (aaO.) hat der Klage wegen Verstößen der  Compliance der Obergesellschaft Porsche SE (§§ 91, 92, 111, 120, 131 AktG) stattgegeben.

Ausführlich behandelt das LG Stuttgart (AG 2018, 240, 243 – 252) das Auskunftsrecht des Aktionärs (§ 131  AktG) und dessen Verletzung. Der erhebliche Vermögenswert, den die Beteiligung an der Volkswagen AG bildet und dessen Gefährdung bis zu einer Insolvenz,  bringt das LG Stuttgart (aaO.) zur Annahme einer unmittelbar eigenen Angelegenheit nach allen drei Prüfkriterien (1.) der Befassung von Vorstand oder Aufsichtsrat der eigenen (Ober) AG, (2.) der kapitalmarktrechtlichen Relevanz und (3.) den objektiven Sorgfaltsanforderungen aus § 93 Abs. 1 AktG. Besonders der Vorwurf der Verletzung objektiven Sorgfaltsanforderungen durch den Vorstand der Porsche SE wegen fehlender Befassung mit Dieselgate (LG Stuttgart AG 2018, 240, 246f. Rn. 134 -150) ist deutlich: Eine Compliance der Obergesellschaft hat nicht stattgefunden.
Eine vollständige Erfüllung des Auskunftsrechts sowie ein Auskunftsverweigerungsrecht der Porsche SE gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG werden abgelehnt. Damit hat die Anfechtungsklage schon gem. § 243 Abs. 1 , 4 AktG Erfolg.

Der Verstoß gegen die Compliance der Obergesellschaft Porsche SE sieht das LG Stuttgart (AG 2018, 240, 247, 254 Rn. 247, 250, 281) als eine Verletzung der gesetzlichen Überwachungspflicht von Vorstand (§ 91 Abs. 2 AktG) und Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 1 AktG). Dies ist zugleich eine schwerwiegende und eindeutige Gesetzesverletzung gem. § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG, denn spätestens mit der Presseerklärung des (Doppel-)Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Winterkorn vom 23.09.2015 konnte sich die Porsche SE nicht mehr auf das Überwachungssystem der Volkswagen AG verlassen. Ein eigenes Überwachungssystem gem. § 91 Abs. 2 AktG hatte die Porsche SE jedoch nicht. Wegen des Verstoß gegen die Treuepflicht sind die Entlastungsbeschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat ein weiteres Mal anfechtbar gem. § 243 Abs. 1 AktG.

Das Urteil läßt der Compliance der Obergesellschaft ein großes Gewicht zukommen.

Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
21.04.2018