Dieselskandal 22: Gemeinsame Klage gegen Händler und Hersteller zulässig – BGH, Beschl. 06.06.2018, Az. X ZR 303/18
Gemeinsame Klage gegen Händler und Hersteller zulässig beschließt der BGH( Beschl. 06.06.2018, Az. X ZR 303/18).
Die Klägerin hat bei der KFZ-Händlerin in Aalen einen Diesel-KFZ von VW gekauft und hat vor dem LG Ellwangen Klage die KFZ-Händlerin auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und gegen VW die Feststellungsklage für die aus der Abgaseinrichtung des Fahrzeugs resultierende Schäden erhoben.
Das OLG Stuttgart hat die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO dem BGH (aaO.) vorgelegt.
Der BGH (aaO.) sieht die Voraussetzungen von §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 59, 60 ZPO als erfüllt an, weswegen die gemeinsame Klage gegen Händler und Hersteller zulässig ist. Es liegt eine Streitgenossenschaft gem. § 60 ZPO vor, denn die Ansprüche gegen KFZ-Händlerin und VW stehen in einem inneren Zusammenhang, d.h. sind wesentlich gleichartig. Rechtlich sind die eingeklagten Ansprüche identisch, weil sie die Klägerin von Folgen des Kaufvertragsabschluss befreien. Auch der Lebenssachverhalt ist im Wesentlichen gleich. Es geht um den Schadstoffausstoß, den Kraftstoffverbrauch und die darauf bezogenen Werbeaussagen. Unschädlich ist, dass bestimmte Teile des Lebenssachverhalts nur für den Anspruch gegenüber der KFZ-Händlerin (Erfordernis der Gelegenheit zur Nacherfüllung) und andere Teile nur gegenüber VW (Zurechnung und Kausalität) gegenüber VW von Bedeutung sind.
Der BGH (aaO.) sieht es als prozeßwirtschaftlich an, dass der Prozeß vor dem für die KFZ-Händlerin zuständigen Gericht (hier: LG Ellwangen (Jagst)) geführt wird. VW als bundesweit agierenden Unternehmen ist es eher zumutbar am Sitz der KFZ-Händlerin verklagt zu werden als der KFZ-Händlerin am Sitz von VW.
Die Entscheidung zeigt, dass der BGH (aaO.) den Dieselskandal nicht durch juristische Überspitzungen für die Käufer von Diesel-KFZ stark erschweren will. Solange das Prozeßrecht der ZPO keine Sammelklage hergibt, soll nicht auch noch eine Aufspaltung der Ansprüche in unterschiedliche Prozesse nötig werden.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
12. Juni 2018
Dieselskandal 20: Kein Wechsel von der Minderung zum großen Schadenersatz und keine Nacherfüllung bei zu langer Dauer – BGH, Urt. 09.05.2018, Az. VIII ZR 26/17
Kein Wechsel von der Minderung zum großen Schadenersatz und keine Nacherfüllung bei zu langer Dauer urteilt der BGH (aaO. Rn. 13, 14) unter Hinweis auf BGH (Urt. VIII ZR 140/12, Rn. 26 = NJW 2013, 1523).
Das BGH-Urteil 09.05.2018, Az. VIII ZR 26/17 hat erhebliche Bedeutung, die nicht im einzelnen dargestellt werden kann. Es ist sehr ausführlich begründet und setzt sich mit einer Vielzahl von Argumenten zwischen der Minderung und dem Übergang zum großen Schadenersatz auseinander. Der BGH (aaO.) kommt durch Verweis auf die Gesetzesmaterialien, d.h. den Bundestagsdrucksachen (BT-Drucks. 14/6040, S. 221, 223, 234 f.) für die neu gefassten §§ 323, 434, 437, 441 BGB zum Ergebnis, dass nach einer wirksam erklärten Minderung gem. §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 1 Satz 1 BGB einer mangelhaften Sache gem. $ 434 f. BGB, d.h. nachdem die Erklärung der Minderung dem Verkäufer zugegangen ist, nicht mehr der große Schadenersatz verlangt werden kann.
Wegen der ausführlichen Begründung und der Aufnahme in die amtliche Sammlung wird der BGH (aaO.) voraussichtlich für Jahrzehnte an diesem Rechtsgrundsatz festhalten. Dies bedeutet, dass bevor vom Verkäufer z.B. eines Auto oder Haus nur ein Teil des Kaufpreis zurückverlangt wird (= Minderung), weil z.B. das Auto einen kleineren Unfall oder das Haus eine defekte Rohrleitung hat, muss sehr genau überlegt werden, denn später ist die Rückgabe der Kaufsache (z. B. Auto oder Haus) verbunden mit der Zahlung von Kaufpreis und der Erstattung von Schäden (= großer Schadenersatz) nicht mehr möglich.
Das Urteil (aaO.) erging über ein geleastes Mercedes-KFZ, bei dem eine Vielzahl von Fehlern verbunden mit häufigen Reparaturen gestritten wurde. Dabei hatte der BGH (aaO. Rn. 13, 14) auch die Frage zu behandeln, wann bei einer Minderung das Verlangen der Nacherfüllung, üblicherweise einer Reparatur, mit einer Frist zur Durchführung entfallen kann (§ 437 Nr. 2, 3 BGB). Dazu wird auf BGH (Urt. VIII ZR 140/12, Rn. 26 = NJW 2013, 1523) verwiesen. Das Nacherfüllungsverlangen wird als entbehrlich angesehen, wenn insbesondere „wegen einer (gemessen an den Bedürfnissen des Käufers) zu langen Dauer der Nacherfülungsarbeiten – die Grenze zur Unzumutbarkeit überschritten“ ist. Dies ist deutlich anders als zuletzt das OLG Nürnberg (Urt. 24.04.2018, Az. 6 U 409/17) (siehe unsere Berichte Dieselskandal 19 v. 09. Juni 2018 und Dieselskandal 15 vom 04. Juni 2018) entschieden hat, das zumindest eine 3-4-wöchige Frist als nicht ausreichend ansah. Auf diese Problematik weisen Händler und Hersteller gerne hin.
Das Urteil (aaO.) “ Kein Wechsel von der Minderung zum großen Schadenersatz und keine Nacherfüllung bei zu langer Dauer “ hilft den Käufern von Diesel-KFZ.
Gerne vertreten wir Sie gegen Hersteller und Händler wegen Ihres Diesel-KFZ mit manipulierter Motorsteuerungssoftware.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
10. Juni 2018
IT-Recht 5: Keine automatische Verlängerung eines Vertrags (über Werbeanzeigen) ohne eindeutig feststehenden Kündigungstermin – BGH, Urt. 14.03.2018, Az. XII ZR 31/17 = WM 2018, 1027 – 1028
Keine automatische Verlängerung eines Vertrags (siehe IT-Recht 2: BGH, , Urt. 22.03.2018, Az. VII ZR 71/17 = BB 2018, 976 – 977 über Werbeanzeigen) ohne eindeutig feststehenden Kündigungstermin urteilt der BGH (aaO.).
Der BGH-Fall (aaO.) ist nahezu identisch mit BGH (Urteil 25.10.2017, Az. XII ZR 1/17 = NZM 2018, 125 = NJW 2018, 939).
Die Klägerin überlässt erworbene Fahrzeuge an soziale Institutionen. Die Fahrzeuge werden über Werbeverträge der Klägerin mit Sponsoren finanziert. Der Beklagte ist ein Sponsor, der einen Vertrag über eine Werbefläche geschlossen hat. Das Fahrzeug wurde einer Schule zur Verfügung gestellt. Es war eine Basislaufzeit von 5 Jahren zu einem Nettogesamtpreis von 1.000,– € zzgl. Mehrwertsteuer vereinbart. In dem Formularvertrag ist unter „Auftragsbedingungen“ zur Laufzeit folgendes bestimmt:
Bau- und Architektenrecht 2: mündliche Gerichtsstandsvereinbarung als Handelsbrauch gem. Art. 25 Abs. 1 Satz 3 c), Abs. 2 Brüssel-Ia-VO = VO (EU) Nr. 1215/2012 – BGH, Urt. 26.04.2018, Az. VII ZR 139/17
Der BGH (Urt. 26.04.2018, Az. VII ZR 139/17) hat in einem Sachverhalt aus dem Anlagenbau einen auch im Baubereich häufig vorkommenden Fall von Leistungserbringung durch ein in einem EU-Staat ansässiges Unternehmen in einem anderen EU-Staat entschieden: Die mündliche Gerichtsstandsvereinbarung als Handelsbrauch gem. Art. 25 Abs. 1 Satz 3 c), Abs. 2 Brüssel-Ia-VO ist möglich.
Das beklagte österreichische Unternehmen hatte die Rechtsvorgängerin der Klägerin (deutsches Unternehmen) mit dem Abbau der gebrauchten Maschinen in der BRD, dem Transport nach Österreich sowie dem Wiederaufbau der Maschinen am Sitz der Beklagten (Demontage und Remontage) mit Angebot vom 16. Juli 2014 beauftragt, das u.a. folgendes vorsah:
Kaufrecht: Maklerexposé als öffentliche Äußerung gem. § 434 Abs.1 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 1. Alt BGB beim Grundstückskaufvertrag – BGH, Urt. 19.01.2018, Az. V ZR 256/15 = ZIP 2018, 1030 – 1033
Der BGH (Urt. 19.01.2018, Az. V ZR 256/15 = ZIP 2018, 1030 – 1033) stell klar, dass Maklerexposé als öffentliche Äußerung gem. § 434 Abs.1 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 1. Alt BGB beim Grundstückskaufvertrag zu sehen ist.
Die Klägerin hat am 06.04.2013 mit notariellem Kaufvertrag unter Ausschluss der Sachmängelhaftung ein in den 1950iger Jahren gebautes Wohnhaus gekauft, das im Maklerexposé wie folgt beschrieben wurde:
„… Es stammt aus den 50iger Jahren und wurde 2005 – 2007 komplett saniert. D.h., Fenster, Türen, Bad und Gäste-WC, Leitun-
gen und Böden wurden erneuert, das Dachgeschoss wurde ausgebaut, das Dach wurde – wie die Hohlschicht des Hauses – gedämmt.
Das Gebäude ist technisch und optisch auf dem neuesten Stand … .Zudem ist das Haus unterkellert (trocken).“
Die Beklagten hatten im Keller einen Anstrich aufbringen lassen, der die vorhandene Feuchtigkeitsbelastung im Keller nicht erkennen ließ. Der Klägerin, die einen erheblichen Wert auf einen trockenen Keller legte, wurde bei der Besichtigung des Kellers von den Beklagten nicht auf die Feuchtigkeit und den die Feuchtigkeit verdeckenden Anstrich hingewiesen. Der Keller wurde nicht zu Wohnzwecken errichtet und in den 1950iger Jahren gehörten Kellerabdichtungen noch nicht zum Stand der Technik.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben während das Berufungsgericht die Klage abwies. Die Klägerin hatte vor dem BGH (aaO.) Erfolg.
Der BGH (aaO.) behandelt das Maklerexposé als öffentliche Äußerung gem. § 434 Abs.1 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 1. Alt BGB beim Grundstückskaufvertrag und bildet dazu zwei Leitsätze.
Es wird klargestellt, dass § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB auch für Grundstückskaufverträge gilt (BGH aaO.; Urt. 22.04.2016, Az. V ZR 23/15) und auch öffentliche Äußerungen des Verkäufers und seines Gehilfen unterfallen, zu denen auch ein Exposé gehört (BGH Urt. 22.04.2016, Az. V ZR 23/15). Dabei kann das Exposé vom Verkäufer selbst erstellt sein (BGH Urt. 22.04.2016, Az. V ZR 23/15) oder sich um ein Maklerexposé handeln (OLG Hamm, OLGR 2009, 161). Im Streitfall war die Angabe des Kellers als trocken maßgeblich.
Die weiteren Urteilsgründe betreffen wesentlich die Rechtsprechungsgrundsätze zum Verhältnis der Rückabwicklung im Wege des Schadenersatz aus vorvertraglicher Pflichtverletzung und kaufrechtlichen Regelungen sowie Ausführungen zu (typischen) Schadenspositionen.
Die für die Praxis bedeutsame Passage liegt in der ausdrücklichen Behandlung des Maklerexposé als öffentliche Äußerung des Verkäufers gem. § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB. Dies wurde bislang so deutlich nur in der OLG-Rechtsprechung (z.B. OLG Hamm, OLGR 2009, 161) gesehen. Der BGH (aaO.) wendet § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB zutreffend an und schiebt schönfärberischen Maklerexposés einen Riegel vor.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
29. Mai 2018
Bankrecht 2: Wahlmöglichkeit bei Bearbeitungsprovision keine Individualabrede – BGH, Urt. 13.03.2018, Az. XI ZR 291/16
Der BGH( Urt. 13.03.2018, Az. XI ZR 291/16) hat am 25. Mai 2018 neben der Entscheidung über die Unwirksamkeit von Nr. 11 AGB-Sparkassen ein weiteres wichtiges Urteil im Bankrecht online veröffentlicht, die in der Wahlmöglichkeit bei Bearbeitungsprovision keine Individualabrede sieht.
Der Kläger, ein Verbraucher und Darlehnsnehmer der beklagten Sparkasse, hat in 2010 und 2011 drei grundpfandrechtlich besicherte Darlehn abgeschlossen. In allen drei von der Beklagten formularmäßig vorformulierten Darlehnsverträgen konnte der Kläger zwischen einer Kreditvariante mit marktüblichen Zinssatz und Bereitstellungsprovision und der Variante mit 0,8 % günstigeren Zinssatz, ohne Bereitstellungsprovisio, mit Sondertilgungsrecht und der streitgegenständlichen laufzeitunabhängigen „Bearbeitungsprovision“ von 2 % des Darlehnsbetrags wählen. Mit der Klage werden von der Beklagten die 918,– € Bearbeitungsprovision zurückgefordert.
Die Klage war bis auf einen Teil der Nebenforderungen vor dem Amtsgericht und Landgericht, das die Revision zugelassen hat, erfolgreich. Die Revision der beklagten Sparkasse wurde abgewiesen.
Der BGH (aaO.) bestätigt den Rückzahlungsanspruch des Klägers aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Fall BGB einschließlich der vom Landgericht zugesprochenen Nebenforderungen.
Es liegt keine Individualvereinbarung gem. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB, denn die Klausel mit der Beabeitungsprovision wurde nicht inhaltlich ernsthaft zur Disposition gestellt sowie sich von der Sparkasse deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung der Klausel bereit erklärt
(Hinweis auf BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 – XI ZR 600/16, WM 2017, 2386 Rn. 26 mwN). Unter Verweis auf BGH-Rechtsprechung (Urt. 3. Juli 1985 – IVa ZR 246/83, WM 1985, 1208, 1209; Urt.10. Oktober 2013 – VII ZR 19/12, NJW 2014, 206 Rn. 19 f ) wird ein Aushndeln in der Möglichkeit des Auswählens vorformulierter Klauselalternativen abgelehnt (Urt. 3. Dezember 1991 – XI ZR 77/91, WM 1992, 50, 51).Auch der Wunsch des Klägers zu Beginn der Verhandlungen für die beiden letzten in 2011 abgeschlossen Darlehn nach der Variante mit Bearbeitungsprovision ändert daran nichts.
Trotz des Wunsch des Klägers nach der Variante mit Bearbeitungsprovision hat die Beklagte in allen drei Darlehn die AGB gem. § 310 Abs.1 Nr. 3 BGB gestellt.
Die Klausel mit der Bearbeitungsprovision ist auch eine der Inhaltskontrolle zugängliche Preisnebenabrede. Die laufzeitunabhängige Bearbeitungsprovision stellt eine mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbarende Abweichung dar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), weil § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB einlaufzeitabhängiges Entgelt vorsieht. Die Erhebung von Gebühren für Tätigkeiten, zu denen die Beklagte gesetzlich oder nebenvertraglich verpflichtet ist oder die sie überwiegend im eigenen Interesse erbringt, weicht von den wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Gesetzesrechts ab (Urteil vom 13. Mai 2014 – XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 66). Auch das Sondertilgungsrecht rechtfertigt die Klausel nicht.
Von Interesse sind auch die Ausführungen zu den Nebenforderungen (=Zinsen) (BGH aaO.). Mit Verweis auf BGH-Rspr. ( Urt. vom 24. April 2007 – XI ZR 17/06, BGHZ 172, 147 Rn. 35 mwN; Urt. vom 12. Mai 1998 – XI ZR 79/97, WM 1998, 1325, 1326 f.; Urt. vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15,
BGHZ 211, 123 Rn. 58; Urt. vom 25. April 2017 – XI ZR 573/15, WM 2017, 1004 Rn. 15) zur tatsächlichen widerleglichen Vermutung für Ziehung von Zinsen bei erlangten Nutzungen werden dem Kläger Zinsen auch vor Verzug zugesprochen.
Die Bedeutung des Urteils liegt in der umfänglichen Feststellung, dass Wahlmöglichkeit bei Bearbeitungsprovision keine Individualabrede ist. Banken sind auch wegen der anhalten Niedrigzinsen dazu übergegangen, eine Vielzahl von Entgelten zusätzlich zu Zinsen in Klauseln zu fordern. Dies erschwert das Urteil. Außerdem wird faktisch eine Zinspflicht für die überzahlten Beträge ab dem Zeitpunkt von deren Vereinnahmung statuiert.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
26. Mai 2018
Bankrecht 1: unwirksames Verbot in Sparkassen-AGB der Aufrechnung für den Verbraucher- BGH, Urt. 20.03.2018, Az. XI ZR 309/16
Der BGH, Urt. 20.03.2018, Az. XI ZR 309/16 hat am 25. Mai 2018 das mit Presseerklärung vom 20.03.2018 angekündigte Urteil zur Sparkassen AGB Nr.11 Aufrechnung und Verrechnung online veröffentlicht, das ein unwirksames Verbot in Sparkassen-AGB der Aufrechnung für den Verbraucher feststellt.
Kläger war die Schutzgemeinschaft für Bankkunden e.V. , die sich mit einer Klage auf Unterlassung des Gebrauchs der Sparkassen-AGB Nr. 11 Aufrechnung und Verrechnung wandte, die wie folgt lautet:
„Nummer 11 Aufrechnung und Verrechnung
(1) Aufrechnung durch den Kunden
Der Kunde darf Forderungen gegen die Sparkasse nur insoweit aufrechnen, als seine Forderungen unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sind.“
Die beklagte Sparkasse hat in erster Instanz (LG Nürnberg-Fürth, Urt. 17.11.2015, Az. 7 O 902/15) verloren und in der Berufung (OLG Nürnberg, Urt. 28.05.2016, Az. 3 U 2560/15) Erfolg gehabt.
Die Revision war für die Schutzgemeinschaft für Bankkunden erfolgreich. DerBGH (Urt. 20.03.2018, Az. XI ZR 309/16) ändert seine Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 17. Februar 1986, II ZR 285/84, WM 1986, 477, 478, vom 18. Juni 2002 XI ZR 160/01, WM 2002, 1654 f. und vom 11. Mai 2004 XI ZR 22/03, juris Rn. 8) und bestimmt das Urteil zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung BGHZ.
Die Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ist eröffnet, weil die Klausel von § 387 BGB und §§ 355 Abs. 3 Satz 1, 357a BGB ohne erkennbare Einschränkung abweicht.
Die Sparkassen-AGB Nr. 11 benachteiligt den Verbraucher uangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) und weicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Bestimmung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) ab.
Die bisherige Rechtsprechung ((BGH, Urteile vom 17. Februar 1986, II ZR 285/84, WM 1986, 477, 478, vom 18. Juni 2002 XI ZR 160/01, WM 2002, 1654 f. und vom 11. Mai 2004 XI ZR 22/03, juris Rn. 8), der in der Literatur vielfach Zustimmung erhielt, wird aufgegeben.
Klargestellt wird, dass die Vereinbarkeit einer Klausel mit §§ 308, 309 BGB (hier: § 309 Nr. 3 BGB) nicht zur Unanwendbarkeit von §§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB führt.
Durch § 361 Abs. 2 Satz 1 BGB werden die Widerrufsregeln §§ 355 Abs. 3 Satz 1, 357a BGB halbzwingend, d.h. es kann nicht zu Lasten des Verbrauchers abgewichen werden. Nach dem Wortlaut der Klausel ist der Verbraucher gezwungen Ansprüche aus dem Rückabwicklungsverhältnis durch Klage (GK-Vorschußpflicht § 12 GKG) geltend zu machen. Dies gilt auch für Darlehnsvaluta sowie Prozeß- und Verzugszinsen. Der Verbraucher wird in die Widerklage gedrängt, was den Verbraucher von der Wahrnehmung seiner Rechte abhalten kann. Eine Auslegung der Klausel, die die Rückabwicklung aus Darlehnswiderruf ausschließt, ist wegen Verstoß gegen das Verbot der Geltungserhaltenden Reduktion nicht möglich.
Das Urteil ist angesichts seiner Tragweite knapp gehalten, läßt einen Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ausdrücklich offen und überzeugt. Es wird die bisherige Rechtsprechung zu §§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB auf Nr. 11 Sparkassen-AGB angewandt.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
25. Mai 2018
IT-Recht 4: Einwilligung des Verbrauchers zur Werbung über mehrere Kanäle – BGH, Urt. 01.02.2018, Az. III ZR 196/17 = ZVertriebsR 2018, 114 – 118
Der BGH, Urt. 01.02.2018, Az. III ZR 196/17 = ZVertriebsR 2018, 114 – 118 hat länger begründet entschieden, dass die Einwilligung des Verbrauchers zur Werbung über mehrere Kanäle durch eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1, 2 BGB, § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 UWG standhält und damit wirksam ist.
Der Kläger, der in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gem. § 4 UKlaG eingetragen ist, hat das beklagte Telekommunikationsunternehmen auf Unterlassung der Verwendung folgender Klausel, die zum Abschluss eines Bestellvorgangs erscheint, eine Zustimmung durch Maus-Klick verlangte und den Hinweis auf jederzeitigen Widerruf der Einwilligung versehen war, in Anspruch genommen:
Der BGH, Urt. 01.02.2018, Az. III ZR 196/17 sieht in der vorformulierten Erklärung eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1, 2 BGB unterliegt.
Maßstabe der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1, 2 BGB sind § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 UWG, die auf Art. 13 Richtlinie 2002/58/EG beruhen.
Der BGH, Urt. 01.02.2018, Az. III ZR 196/17 kommt zum Ergebnis, dass die Klausel den Anforderungen an § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 UWG und Art. 13 Richtlinie 2002/58/EG entspricht. Die Klausel ist für einen rechtlich nicht vorgebildeten, verständigen und redlichen Durchschnittskunden verständlich. Die Klausel entspricht den Anforderungen einer spezifischen Einwilligungserklärung, denn die durch Maus-Klick zu bestätigende Erklärung bezieht sich ausschließlich zur Kontaktaufnahme für Werbezwecke. Der Schutzzweck wird auch durch die Zustimmung zu mehreren Werbekanälen gewahrt, selbst wenn die zeitliche Dauer erst im dritten und letzten Satz erfasst ist. Schließlich bestehen für den BGH (aaO.). keine Bedenken gegen die zeitliche Begrenzung von maximal zwei Jahren nach Vertragsende.
Der BGH, Urt. 01.02.2018, Az. III ZR 196/17 geht an die Grenzen des für den Verbraucher erträglichen. Maßgebend dürfte gewesen sein, dass der Hinweis auf den jederzeitigen widerruf der Einwilligung mit angezeigt wird.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
24. Mai 2018
IT-Recht 3: Pflicht zur Angabe des Liefertermin im Internethandel mit Verbrauchern – LG München I, Urt. 17.10.2017, Az. 33 O 20488/16 = ZVertriebsR 2018, 96 – 100
Das LG München I (aaO.) bestätigt die Pflicht zur Angabe des Liefertermin im Internethandel mit Verbrauchern und verurteilt die Betreiberin eines Telemediendienst und Web-Shop (= Beklagte), die ein Samsung-Smartphone mit der Angabe „Der Artikel ist bald verfügbar. Sichern Sie sich jetzt Ihr Exemplar !“ beworben hat.
Beim Kläger handelt es sich um einen rechtsfähigen Verband, der als qualifizierte Einrichtung gem. § 4 UKlaG anerkannt ist. Nach einer versuchsweisen Bestellung eines Mitarbeiters des Klägers bei der Beklagten wird von der Klägerin eine übliche Abmahnpauschale von 260,– € und Unterlassung der Werbung „Der Artikel ist bald verfügbar. Sichern Sie sich jetzt Ihr Exemplar !“ verlangt.
Das LG München I (aaO.) sieht die Pflicht zur Angabe des Liefertermin im Internethandel mit Verbrauchern aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EGBGB. Die Pflicht zur Angabe des Liefertermin im Internethandel mit Verbrauchern umfasst insbesondere die Bekanntgabe des spätesten Liefertermin. Zulässig ist auch die Nennung eines Lieferzeitraums. Die angegriffene Formulierung „Der Artikel ist bald verfügbar. Sichern Sie sich jetzt Ihr Exemplar !“ erfüllt dies nicht. Mit dem Wort „bald“ wird weder ein genauer Liefertermin als Zeitpunkt noch ein bestimmbarer (Liefer)Zeitraum umschrieben. Die Anforderungen aus § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EGBGB werden auch nicht durch § 312j BGB eingeschränkt. Der Verbraucher soll nicht das Risiko von Lieferverzögerungen aufgebürdet bekommen. Die gesetzlichen Widerrufsrechte des Verbrauchers sind dafür kein Ausgleich.
Das LG München I (aaO.) erachtet die vertragsbezogenen Informationspflichten der § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EGBGB als Marktverhaltensregeln im Interesse der Verbraucher. Ein Verstoß gegen § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EGBGB stellt daher zugleich eine Verletzung von § 3a UWG dar. Dies berechtigt den Kläger zum Unterlassungsantrag und der Abmahnpauschale.
Das Urteil des LG München I (aaO.) zeigt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und verschafft dem Verbraucherschutz überzeugend Geltung.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
23. Mai 2018
Vertriebsrecht 7: Stationscomputersystem der Tankstelle des Handelsvertreters als kostenlose Unterlage von § 86a HGB – LG Hamburg, Urt. 04.04.2017, 326 O 314/15 = ZVertriebsR 2018, 110 – 114
Das LG Hamburg (Urt. o4.04.2017, Az. 326 O 314/15) hat das Stationscomputersystem der Tankstelle des Handelsvertreters als kostenlose Unterlage von § 86a HGB angesehen und sich im Grundsatz der Rechtsprechung des BGH (Urt. 04.05.2011, Az. VIII ZR 10/10, VIII ZR 11/10; Urt. 17.11.2016, Az. VII ZR 6/16) angeschlossen.
Handelsvertreter werden vom LG Hamburg (aaO), die eine Tankstelle betreiben, sehr genau nach dem Wortlaut des Gesetz § 86a HGB behandelt. Die unterlegene Mineralölgesellschaft (=Unternehmerin=Beklagte) hat gegen das Urteil Berufung beim OLG Hamburg, Az. 1 U 80/17 eingelegt.
Die Klägerin betrieb 4 „S“-Tankstellen als Handelsvertreterin der beklagten S. Deutschland O. GmbH in den Jahren 2010 – 2012. In den Tankstellen wurden Kraftstoffe und Waren aller Art im Shop (sog. Eigengeschäft) verkauft. Mit der Anlage 8 zum Handelsvertretervertrag 28.06./02.07.2007 mietete die klagende Handelsvertreterin das Stationscomputersystem einschließlich Datenfernübertragung bei der beklagten Mineralölgesellschaft zu 290,– € im Monat pro Tankstelle. Das Stationscomputersystem umfasst die Software für einen Büroarbeitsplatz (BOS = Back-Office-System) und einen Kassenarbeitsplatz (POS = Point of Sale), das neben für die Erfüllung der Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag erforderlichen Funktionen (Erfassung Verkaufsvorgänge im Kraftstoff- und Eigengeschäft nach Art, Menge, Preis, Steuerung der Preisauszeichnung) auch weitere Funktionen (Erstellung von Tagesabrechnungen, Umsatzsteuererklärungen, betriebswirtschaftlichen Auswertungen usw. ) enthält.
Das LG Hamburg (aaO.) sieht mit der Rechtsprechung des BGH (Urt. 04.05.2011, Az. VIII ZR 10/10, VIII ZR 11/10; Urt. 17.11.2016, Az. VII ZR 6/16) die Beklagte als verpflichtet an, der Klägerin die Funktionen des Stationscomputersystem kostenlos zur Verfügung zu stellen, die zur Erfüllung der Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag erforderlich sind. Diese erforderlichen Unterlagen gem. § 86a HGB sind auch die Datenfernübertragung, da die Preisangabe ein wesentliches Werbemittel im Kraftstoffgeschäft bildet. Im Umfang der für die Erfüllung der handelsvertretervertraglichen Pflichten erforderlichen Funktionen wird das Stationscomputersystem der Tankstelle des Handelsvertreters als kostenlose Unterlage von § 86a HGB angesehen.
Die weiteren Funktionen des Stationscomputersystems (Erstellung von Tagesabrechnungen, Umsatzsteuererklärungen, betriebswirtschaftlichen Auswertungen usw. ) sind hingegen keine erforderlichen Unterlagen gem. § 86a HGB. Mit dem BGH (Urt. 17.11.2016, Az. VII ZR 6/16) wird die Anlage 8 über die Miete des Stationscomputersystems als teilbar angesehen. Das LG Hamburg (aaO.) nimmt für die Höhe der Miete des Stationscomputersystem, die keine erforderliche Unterlage gem. § 86a HGB und damit gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB zurückzuzahlen ist, eine Abwägung zwischen dem wirksamen und unwirksamen Teil der Vergütungsabrede vor. Es wird ein Gleichgewicht der beiden Funktionalitäten wegen der großen Bedeutung der Preisauszeichnung festgestellt. Die Beklagte muss die Hälfte der Miete an die Klägerin zurückzahlen.
Die Rechtsprechung des BGH (Urt. 04.05.2011, Az. VIII ZR 10/10, VIII ZR 11/10; Urt. 17.11.2016, Az. VII ZR 6/16) findet Eingang in die Instanzen. Das LG Hamburg nimmt eine vertretbare Abwägung über die Bedeutung der Funktionalitäten des Stationscomputersystems vor.
Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
22. Mai 2018