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Kündigung eines von 99 GmbH-Geschäftsführern – BAG, Urt 21.09.2017, Az. 2 AZR 865/16 = NZA 2018, 358 – 362

erstellt am: 14.04.18 | Aktuelle Urteile

Die Kündigung eines von 99 GmbH-Geschäftsführern – BAG, Urt 21.09.2017, Az.  2 AZR 865/16 = NZA 2018, 358 – 362 nimmt das oberste  Arbeitsgericht zum Anlass, den Ausschluss des Kündigungsschutz für Organmitglieder von § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG (negative Fiktion) mit ausführlicher Begründung und Orientierungssätzen zu bestätigen.

Das BAG (aaO. NZA 2018, 358, 359) stellt als erstes fest, dass der gekündigte und klagende Geschäftsführer zuletzt mit Vertrag vom 26.11.2012 als „Executive Director“ beschäftigt war und seit Januar 2011 zum Geschäftsführer der Beklagten bestellt war. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Unternehmensberatung, die in der BRD 3000 Arbeitnehmer beschäftigt und neben dem Kläger noch weitere 98 (!!!) Geschäftsführer bestellt hatte. Die Geschäftsführer der Beklagten hatten, abhängig vom zugeordneten Verantwortungs- und Tätigkeitsbereich, ein „Career Level“ von 3 bis 1, der Kläger das Level 3. Durch eine Unterzeichnungsrichtlinie der Beklagten war festgelegt, welche Vertretungsbefugnisse  im Innenverhältnis  mit der Position des Geschäftsführers verbunden sind. Bei einer Vergütung von ca. 370.000 €  brutto jährlich wurde dem Kläger bei seiner Beförderung auf Level 3 zum 1.12.2010 Aktienrechte im Wert von 525.000 US-Dollar zugesagt, von denen in den ersten vier Jahren jeweils 3%, im fünften Jahr 73% sowie im sechsten und siebten Jahr jeweils 7,5 % zugeteilt und unverfallbar werden sollten.
Ausweislich der Entscheidungsgründe (BAG NZA 2018, 352, 362 Rn. 47) erfolgten innerhalb von 11 Jahre bei der Beklagten 247 Geschäftsführerbestellungen.

Das BAG (aaO.) beruft sich für die Organeigenschaft von § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG einerseits auf die organschaftliche Stellung (BAG NZA 2018, 358, 359 Rn. 12 unter Angabe der st. Rspr.) und die Organmitgliedschaft (BAG NZA 2018, 358, 361 Rn.30), die auch von der Zustimmung des hier klagenden Organmitglieds abhängt (BAG NZA 2018, 358, 362 Rn. 39). Allerdings ist für die Organeigenschaft ausschließlich maßgeblich die gem. § 37 Abs. 2 GmbHG nicht beschränkbare Vertretungsmacht (BAG NZA 2018, 358, 360 Rn. 25). Ausdrücklich „unerheblich“ ist, ob “ die internen Beschränkungen der Vertretungsbefugnis “ gegen das gesetzliche Leitbild der §§ 35, 37 GmbHG verstoßen (BAG NZA 2018, 358, 360 Rn. 26). Für die Kündigung eines von 99 GmbH-Geschäftsführern eine weitreichende Aussage.

Auf Grundlage dieser rechtlichen Beurteilung kommt das BAG (aaO.) zum Ergebnis, dass weder das Europarecht (Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG; Massenentlassungsrichtlinie 98/59EG; Art. 30 Charta der Grundrechte der Europäischen Union; BAG NZA 2018, 358, 360 Rn. 20, 21), Art. 12 GG (BAG NZA 2018, 358, 361 Rn. 28 – 31), Art. 3 Abs. 1 GG (BAG NZA 2018, 358, 361 Rn. 32 – 34) noch die Grundsätze über den individuellen oder institutionellen Rechtsmissbrauch gem. § 242 BGB (BAG NZA 2018, 358, 361 f. Rn. 35 – 49) einer Einordnung der Kündigung eines von 99 GmbH-Geschäftsführern in die negative Fiktion von § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG entgegenstehen.

Dieses Ergebnis ist äußerst fragwürdig.

Selbst Unternehmen mit sehr viel mehr Arbeitnehmern (Deutsche Bank AG ca. 95 000 AN, VW AG ca. 620.000 AN) haben ein oberstes Unternehmensleitungsorgan (Vorstand) der nicht mehr als 10 – 20 Mitglieder hat. Die Leitungsdichte, d.h. Anteil der Mitglieder des Unternehmensleitungsorgans im Verhältnis zur Mitarbeiterzahl, beträgt bei der beklagten Unternehmensberatung 3,3 % (= 99 Geschäftsführer / 3000 Mitarbeiter). Diese Leitungsdichte würde bei der Deutsche Bank AG zu ca. 3.100 und bei der VW AG zu ca. 20.000 Vorstandsmitgliedern führen.

Entgegen der Ansicht des BAG (NZA 2018, 358 , 360 Rn. 25, 26) kann keinem Geschäftsführer einer GmbH die Zuständigkeit für Pflichten, die nicht zur Disposition der Gesellschafter stehen, die interne Geschäftsführungsbefugnis entzogen werden (statt aller: Ulmer/Paefgen, GK GmbHG, 2. Aufl., § 37 Rn. 25). Zu diesen unentziehbaren Pflichten gehören die Erhaltung der Kapitalgrundlage der GmbH gem. §§ 30, 33 GmbHG, die Insolvenzantragspflicht gem. § 15a Abs. 1 InsO, die Pflicht zur Erfüllung der gesetzlichen Publizität (Eintragungen im Handelsregister), die Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung (§ 49 Abs. 2 GmbHG) sowie die Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung und Bilanzierung (§ 41 GmbHG). Pflichten im öffentlichen Interesse bestehen für die Abführung von Steuern und Sozialabgaben (Ulmer/Paefgen, aaO., § 37 Rn. 25). Als weitere,  für die Geschäftsführerhaftung bedeutsame Pflicht besteht die Überwachungspflicht der Mitgeschäftsführer (Ulmer/Paefgen, aaO., § 43 Rn. 410). Daher hat jeder Geschäftsführer, auch der „Zölibatssgeschäftsführer“, das Recht „alles zu wissen“ (Ulmer/Paefgen, aaO., § 37 Rn. 30). Es ist nach dem mitgeteilten Sachverhalt keine Selbstverständlichkeit, dass die beklagte Unternehmensberatung-GmbH diese für die wirksame Organmitgliedschaft zwingenden Voraussetzungen bei jedem der 99 Geschäftsführer erfüllt hat. Es ist keine organisatorische Kleinigkeit 99 Personen stets zuverlässig und zeitnah über den finanziellen Status einer GmbH dieser Größe informiert zu halten. Auch erscheint es nicht sicher, dass alle 99 Geschäftsführer ausreichende Überwachungsmöglichkeit der anderen 98 Geschäftsführer hatten. Die Kündigung eines von 99 GmbH-Geschäftsführern ohne Klärung der Mindestvoraussetzungen der Geschäftsführerkompetenzen als Kündigung eines Organmitglieds eines Organmitglieds gem. § 14 Abs. 1 Nr.1 KSchG zu behandeln, d.h. die Geschäftsführerbestellung auf den Bestellungsakt zu reduzieren, testet die Grenzen des Gesetzeszwecks von § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG aus.

Die dem Urteil vom BAG zugewiesene grundsätzliche Bedeutung ist bei der gegebenen Begründung unhaltbar.

Andreas Hoffmann
Rechtsanwalt
14.04.2018